Altissa D – Analoge Fotografie reduziert auf das Wesentliche
In einer Wühlkiste voller alter Kameras stach mir dieses Exemplar sofort ins Auge. Der Zustand war alles andere als gut, doch ihre ungewöhnliche Form und Gestaltung machte mich neugierig. Also nahm ich sie heraus, um genauer hinzusehen. Vor mir lag eine Altissa D, eine einfache Boxkamera, von der es dennoch einiges zu erzählen gibt.
Zur Geschichte der Altissa D
Die Altissa D wurde in Dresden, damals eine Hochburg des Kamerabaus, entwickelt und gefertigt. Die Firma Emil Hofert produzierte seit Anfang der 1930er Jahre vor allem klassische Boxkameras, die in der Regel Negative im Format 6 × 9 cm belichteten.
Nach dem Tod von Emil Hofert im Jahr 1935 übernahm Berthold Altmann das Unternehmen. Er wollte neue Wege gehen und nicht nur die üblichen, quaderförmigen Boxen anbieten. Mit den Altissa-Modellen, die den Namen des neuen Eigentümers aufgriffen, führte er das kleinere, quadratische 6 × 6-Format ein.
1935 kam mit der Altissa Nr. 200 das erste Modell dieser modifizierten Bauform auf den Markt. Ab 1938 erhielt sie einen deutlich grösseren Sucher. Die Produktion wurde während des Zweiten Weltkriegs unterbrochen, aber 1947 wieder aufgenommen. Unter dem Namen Altissa D blieb die Kamera bis 1953 im Handel.
Ein Mann präsentiert die Altissa Box D einer Personengruppe
Quelle: Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons
Form trifft Funktion
Die Altissa D wirkt auf den ersten Blick wie eine Mischung aus klassischer Boxkamera und zweiäugiger Spiegelreflex. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine weiterentwickelte Boxkamera mit einigen praktischen Verbesserungen. Ihr Metallgehäuse ist schwarz beledert und wirkt robust.
Auffällig ist der grosse, integrierte Durchsichtssucher auf der Oberseite. Er erleichtert die Wahl des Bildausschnitts erheblich und ersetzte das Fotografieren in Bauchhöhe, bei dem man von oben durch einen kleinen Sucher blicken musste. Die Vorgängerin, die Altissa Nr. 200, war noch mit einem vergleichsweise kleinen, aufgesetzten Sucher ausgestattet. 1938 wurde dieser durch einen deutlich grösseren, integrierten Durchsichtssucher ersetzt, welcher das Erscheinungsbild der Kamera stark prägte und nach dem Zweiten Weltkrieg dann auch zur Modellbezeichnung «D» führte.
Frontseite mit Objektiv
Die Vorderseite der Altissa D ist klar gegliedert und zugleich dekorativ gestaltet. Im Zentrum sitzt das fest eingebaute Altissar Periskop-Objektiv mit 70 mm Brennweite und einer Offenblende von f/8. Es besteht aus zwei symmetrisch angeordneten Meniskuslinsen, eine vor und die andere hinter Verschluss und Blende. Fokussieren ist bei der Altissa D, je nach Sichtweise, nicht nötig oder nicht möglich. Motive ab 1,5 Metern bis unendlich werden scharf abgebildet.
Umgeben ist das Objektiv von einer Metallplatte mit silbernen Linien, die strahlenförmig angeordnet sind. Diese Linien verleihen der Kamera ein Art-Déco-artiges Erscheinungsbild. Über dem Objektiv befindet sich gut sichtbar der geschwungene Schriftzug «ALTISSA». Auch er wird als Designelement eingesetzt.
Weitere Elemente
An den Seiten der Altissa D befinden sich stabile Ösen zur Befestigung eines Trageriemens. Direkt darunter halten Metallscharniere die beiden Teile des Kameragehäuses sicher zusammen. Oben an der rechten Seite sitzt der Filmtransportknebel, mit dem der Film Bild für Bild weitergedreht wird.
Auf der Rückseite ist mittig das Filmsichtfenster eingelassen, das mit einem Metallschieber abgedunkelt werden kann. Darunter, etwas unscheinbar in die Belederung geprägt, findet sich das für Kameras aus der ehemaligen DDR typische Gütezeichen. Bei der Altissa D weist die 1 im Dreieck darauf hin, dass sie der durchschnittlichen Qualität für solche Produkte auf dem Weltmarkt entspricht. Darunter ist die Betriebsnummer der Firma zu erkennen: 37/361/4002.
Verschluss und Blende
Die Altissa Box D ist mit einem einfach konstruierten Rotationsverschluss ausgestattet, wie er für viele Boxkameras dieser Zeit typisch war. Er bietet zwei Belichtungsarten: eine feste Momentaufnahme mit nominell etwa 1/25 Sekunde sowie eine Zeitaufnahme (B), bei der die Belichtungsdauer frei gewählt werden kann.
Die tatsächliche Verschlusszeit kann je nach Exemplar abweichen. Bei meiner Kamera habe ich sie nicht messen können. Mike O’Connell ermittelte bei seiner Altissa D einen Wert von 1/42 Sekunde. Für meinen Testfilm ging ich von 1/30 Sekunde aus. Die dabei entstandenen Bilder sind am Ende des Beitrags zu sehen, zusammen mit einigen Überlegungen zur «Sunny 16»-Regel, welche Belichtungswerte ganz ohne Messung ermöglicht.
Die Umschaltung zwischen Momentaufnahme (1/25) und Zeitaufnahme (B) erfolgt über einen kleinen Schieber unter dem Objektiv an der Vorderseite der Kamera. In der Position 1/25 genügt ein kurzer Druck auf den Auslöser und der Verschluss öffnet und schliesst sich selbstständig wieder. In der Stellung B bleibt der Verschluss so lange offen, wie der Auslöser gedrückt wird, und schliesst erst beim Loslassen.
Für Langzeitbelichtungen steht unterhalb des Auslösers ein Gewinde für einen Drahtauslöser zur Verfügung. Damit lässt sich die Kamera erschütterungsfrei auslösen, besonders wenn sie auf einem Stativ oder einer festen Unterlage steht. Passend dazu ist im Kameraboden ein 3/8-Zoll-Stativgewinde verbaut.
Das fest eingebaute Objektiv «Altissar Periskop» verfügt über eine Offenblende von f/8. Mit dem über dem Objektiv angebrachten Schieber kann die Blendenöffnung auf f/16 verkleinert werden.
Den Film einlegen
Die Altissa D belichtet 120er Rollfilm und erzeugt damit 12 Aufnahmen im Format 6 × 6 cm. Zum Einlegen des Films wird zunächst das Vorderteil der Kamera aus dem Gehäuse gezogen. Dazu klappt man die beiden seitlichen Riegel nach aussen, zieht den Filmtransportknebel ganz heraus und nimmt das Vorderteil ab.
Die leere Aufwickelspule wird oben eingesetzt, die neue Filmspule im unteren Bereich. Zum Einsetzen müssen die Haltefedern auf der rechten Seite leicht nach aussen gedrückt werden, damait die Zapfen in die Löcher der Spulen einrasten können. Anschliessend wird die Papierlasche des Films über die beiden Umlenkrollen hinweg in den Schlitz der Aufwickelspule geschoben.
Mit einer kleinen Münze lässt sich die Aufwickelspule drehen, bis das Papier straff sitzt und sicher in der Spule verankert ist. Danach werden Vorder- und Rückteil wieder zusammengesteckt, die Riegel geschlossen und der Filmtransportknebel mit einer leichten Drehung im Uhrzeigersinn nach innen gedrückt, bis er in die Spule einrastet. Die Altissa D ist nun aufnahmebereit und der Film kann auf Aufnahmeposition 1 gespult werden.
Persönliche Erfahrungen
Die Altissa D liegt beim Fotografieren grundsätzlich gut in der Hand. Sie ist klein und handlich. Für den regelmässigen Einsatz in der heutigen Zeit gibt es jedoch zu viele Einschränkungen. Die feste Verschlusszeit von 1/25 Sekunde erfordert eine ruhige Hand, um Verwacklungen zu vermeiden. Auch die Belichtungsvarianten sind limitiert, denn die Verschlusszeit lässt sich nur mit den Blenden 8 oder 16 kombinieren. Mit den früher üblichen, weniger empfindlichen Filmen konnten damit aber durchaus gelungene Aufnahmen fürs Familienalbum entstehen. Betrachtet man alte Fotoalben, stammen viele Bilder aus dieser Zeit von Aufnahmen im Freien bei Sonnenschein.
Das Einlegen eines Films wirkt vom Konzept her gut durchdacht, erweist sich in der Praxis jedoch als wenig komfortabel. Bei meiner Kamera hakt das Herausnehmen und Einschieben der Kamerafront samt Filmhalter immer wieder. Auch das Einsetzen von Leer- und Filmspule verlangt spürbaren Kraftaufwand. Sind beide Spulen schliesslich in ihren Halterungen eingerastet, stellt sich mit dem Spannen des Papiers die nächste kleine Herausforderung.
Ist der Film erst einmal eingelegt, lässt sich unter drei Voraussetzungen unbeschwert fotografieren: Die Filmempfindlichkeit muss passen, die Lichtsituation stimmig sein und das Motiv zur Kamera und zum Film passen.
Beispielbilder und ihre Entstehung
Für die Aufnahmen mit der Altissa D verwendete ich einen Kentmere 100, den ich bewusst auf ISO 50 belichtete und später in Rodinal mit einer Verdünnung von 1 + 50 entwickelte. Gespannt war ich, wie sich dies auf die Aufnahmen auswirken würde, denn bei der Kamera steht mit einer festen Verschlusszeit von 1/25 s lediglich die Wahl zwischen Blende 8 und Blende 16 zur Verfügung.
Meine Überlegungen zur Belichtung orientierten sich an der Sunny-16-Regel, die besagt, dass man bei hellem Sonnenschein mit Blende 16 und einer Verschlusszeit arbeitet, die dem Kehrwert der Filmempfindlichkeit entspricht. Daraus würde in meinem Fall eine Verschlusszeit von 1/50 Sekunde resultieren. Bei allen Aufnahmen wählte ich die Blende 16 mit heruasgezogenem Blendenschieber.
Die meisten Aufnahmen entstanden bei vollem Sonnenschein, zwischendurch fotografierte ich auch Motive mit schattigen Partien und zum Schluss eine Aufnahme, bei der der Schatten überwog. Dank der auf ISO 50 reduzierten Empfindlichkeit liess sich das Zusammenspiel von Verschlusszeit und Blende relativ gut auf die jeweiligen Lichtverhältnisse abstimmen.
Bildergalerie
Die unten gezeigte Bildergalerie veranschaulicht gut die Stärken und Schwächen der Altissa D mit ihrem Altissar-Periskop 1:8. Mit den 12 Aufnahmen auf dem 120er Rollfilm habe ich versucht, möglichst unterschiedliche Aufnahmesituationen zu dokumentieren. Alle Bilder entstanden mit Blende 16. Die Digitalisierung erfolgte mit einem Epson Perfection V600 und der Software SilverFast 9 SE. Anschliessend wurden Staub und Kratzer in Photoshop entfernt, auf eine nachträgliche Bildoptimierung habe ich verzichtet.
Die Bildschärfe ist, wie zu erwarten, eher bescheiden und nimmt zu den Rändern deutlich ab. Am überzeugendsten arbeitet die Altissa D bei Aufnahmen mit der Sonne im Rücken und einem relativ grossen Schattenanteil. Bei sehr hellem Licht neigen die Bilder zum Überstrahlen. Am meisten Mühe hat die Kamera mit seitlichem oder direktem Gegenlicht.